Innenstadt Tübingen
Stimmt: In Tübingen ist das Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln sogar sehr gut. Deswegen legen die Tübinger auch innerhalb des Stadtgebiets 50 Prozent aller motorisiert gefahrenen Wege mit dem Bus zurück.
Ganz anders sieht es allerdings vor den Toren der Stadt aus. Im Stadt-Umland-Verkehr nutzen nur 20 Prozent Zug und Bus. Und warum? Es gibt auch dort gute Angebote mit dem Zug, aber wer in die Kliniken oder zur Uni will, muss am Hauptbahnhof umsteigen. Und das tun die Fahrgäste nicht gern. Es kostet Zeit, ist unbequem, und immer wieder ist der Anschluss weg – mal kommt der Zug zu spät, mal steckt der Stadtbus irgendwo im Verkehr fest.
Sobald wir den Menschen umsteigefreie Verbindungen anbieten, werden sie die Bahn nutzen. Das ist der Clou einer RegioStadtbahn. Dieser Effekt ist seit vielen Jahren wissenschaftlich nachgewiesen.
Die RegioStadtbahn verschafft den Kliniken einen Wettbewerbsvorteil – nämlich Erreichbarkeit: für Besucher und Patienten ebenso wie für die eigenen Mitarbeiter.
Die Tübinger Kliniken sollen in den kommenden Jahren an ihrem Standort auf der Morgenstelle weiter wachsen. Der Parkraum wird immer knapper. Daher sind die Kliniken sehr an einer hochwertigen Bahnanbindung interessiert.
40 Prozent der Studierenden wohnen außerhalb von Tübingen.
Weil eine Straßenbahn nur innerhalb der Stadt fährt, und das greift zu kurz. Das Konzept der RegioStadtbahn will ja etwas ganz anderes: Da geht es um Stadt-Umland-Verbindungen.
Der Clou bei einer RegioStadtbahn ist, dass die Menschen aus den Städten und Dörfern in der Region nicht nur mit der Bahn nach Tübingen fahren können, sondern mit derselben Bahn gleich noch in die Stadt hinein zu ihren Zielen. Umsteigefrei. Das kann eine Straßenbahn nicht leisten, weil sie nicht ins Umland fährt. Und ein Bus kann es nicht leisten, weil er auf den Einfallstraßen im Stau stünde. Die Bahn wiederum, wie wir sie heute haben, fährt zu selten, man muss umsteigen, und dabei verlieren die Fahrgäste Zeit oder verpassen Anschlüsse. Eine RegioStadtbahn ist im Umland eine Bahn – und in der Stadt eine Straßenbahn. Sie bringt die Leute am Stau vorbei bis vor die Haustür.
Weil wir nicht mehr brauchen. Denn was innerstädtische Bahn-Verbindungen angeht, hat Tübingen einen Riesen-Vorteil. Alle wichtigen Zielpunkte in der Stadt sind mit einer einzigen Neubau-Trasse zu bedienen: die Altstadt, der Uni-Campus Wilhelmstraße, die Kliniken im Tal und auch die Kliniken auf dem Berg, der Uni-Campus Morgenstelle sowie der Technologiepark und WHO. So lassen sich die Bahnen in beide Richtungen ideal auslasten. Sie bringen Berufspendler und Studenten auf den Berg hinauf und nehmen Fahrgäste aus Waldhäuser Ost mit nach unten.
Alle Züge der RegioStadtbahn sollen vom Tübinger Hauptbahnhof aus auf dieser Trasse fahren, die Linien aus Reutlingen und Mössingen ebenso wie die aus Rottenburg und Herrenberg.
Weitere wichtige Ziele für Berufspendler liegen an den schon bestehenden Linien: im Behördenzentrum sowie in den Gewerbegebieten Unterer Wert und in Derendingen. Dort müssen lediglich Haltepunkte eingerichtet werden.
Das bisherige System der Tübinger Stadtbusse bleibt bestehen, wird aber punktuell verändert. Aufgegeben werden nur jene Linien, die auf der Strecke Bahnhof – Morgenstelle – Waldhäuser Ost von der RegioStadtbahn ersetzt werden. Die Fahrzeiten der anderen Buslinien werden auf den Verkehrstakt der Bahn abgestimmt.
Ein doppeltes Nein.
Das erste Nein gilt dem Ballungsraum Tübingen-Reutlingen. In seiner geographischen Mitte liegt der Bahnhof Wannweil. Schlägt man um diesen Punkt einen Kreis mit einem Radius von zehn Kilometern, wohnen in diesem Einzugsgebiet 300.000 Menschen.
Der Verdichtungsraum Reutlingen-Tübingen ist der einzige im Land in dieser Größenordnung, der bislang noch kein Stadtbahn- oder S-Bahn-System hat oder derzeit dabei ist, eines umzusetzen. Sprich: Wir haben in dem Punkt sogar Nachholbedarf.
Das zweite Nein gilt dem Stadtgebiet Tübingen. Allein für seinen innerstädtischen Verkehr bräuchte Tübingen tatsächlich nicht unbedingt eine Stadtbahn. Aber für den Stadt-Umland-Verkehr umso mehr. Klarer Beweis hierfür sind tägliche Pendler-Staus aus allen Himmelsrichtungen, aus Dußlingen ebenso wie aus Hirschau oder Unterjesingen.
Prinzipiell: Überall dort, wo ein Bus fahren kann, kann auch eine Straßenbahn fahren. Denn die Bahn braucht im Grund weniger Platz als ein Bus. Durch ihre Spurführung ist sie zudem berechenbarer in ihrem Platzbedarf. Besonders deutlich wird der Unterschied in Kurven: Busse schwenken nach außen aus, und nach innen brauchen sie in der Biegung viel Platz, weil der Fahrzeugabschnitt zwischen zwei Achsen sozusagen die Kurve schneidet. Das nennt man Schleppkurven. Diese beiden Probleme hat man bei einer Bahn nicht. Dank ihres Konstruktionsprinzips fährt das letzte Rad auf genau derselben Linie wie das erste.
Die Tragfähigkeit der Neckarbrücke reicht für die RegioStadtbahn, nicht aber für barrierefreie Bahnsteige. Diese Schwierigkeit teilt sie mit dem Stadtbus. Die Brücke ist über 100 Jahre alt, und ihre Stampfbeton-Konstruktion hat ihrere Lebensdauer weitgehend erreicht. Sie muss in absehbarer Zeit ohnehin erneuert werden. Kommt die RegioStadtbahn, können die Kosten zum großen Teil von Bund und Land bezuschusst werden.
Die Sperrung der Mühlstraße für den individuellen Autoverkehr ist nicht zwingend.
Was ändert sich in der Mühlstraße? Für Busse und Radfahrer bleibt alles, wie es bisher ist. Für Radler sind die Stadtbahnen sehr angenehme Verkehrsteilnehmer, weil sie mit ihrer Spurführung berechenbarer sind als Busse und Autos.
Und auch Autofahrern bringt das System Vorteile: Wenn – wie erwartet – viele Pendler vom Auto in die RegioStadtbahn umsteigen, sind entsprechend weniger Autos auf den Straßen. Die verbliebenen Autofahrer kommen also besser durch.
Nein. Die Strecke vom Tal in Richtung Morgenstelle, also die Schnarrenberg-Auffahrt, ist kein Problem. In anderen Städten gibt es genauso steile oder gar steilere Trassen. Beste Beispiele dafür sind Stuttgart, Würzburg und Mainz.
Die Regio-Strecken bis zum Bahnhof gibt es ja schon weitgehend. Neu gebaut werden müsste lediglich die Innenstadtstrecke in Tübingen. Die soll bis zur Morgenstelle etwa 117,5 Millionen Euro kosten, wovon dann 47,5 Millionen nicht durch Zuschüsse gedeckt wären. Von der Morgenstelle bis zu WHO entstehen in einem zweiten Bauabschnitt Kosten in ähnlicher Höhe. Je nach Betreiber der Strecken lässt sich möglicherweise die Mehrwertsteuer von etwa einem Sechstel der Gesamtkosten einsparen. Da es sich um ein Stadt-Umland-Verkehrsprojekt handelt, muss noch ausgehandelt werden, wie sich Stadt und Landkreis Tübingen die Kosten teilen. Für beide wird es auf jeden Fall ein Kraftakt.
Aber es ist ja auch ein Jahrhundertprojekt, das macht man für Generationen. Der Bau des Nordrings war ebenfalls ein Mammutprojekt, das die Stadt Tübingen im letzten Jahrhundert geschultert hat. Wenn man die Kosten auf mehrere Jahre verteilt, ist es zu schaffen.
Die RegioStadtbahn nutzt im Umland Wechselstrom – und in der Stadt, wie jede Straßenbahn, Gleichstrom. Elektrosensible Menschen haben Bedenken gegen elektromagnetische Strahlenbelastung, aber das betrifft die Gleichstromleitungen nicht: Denn dort entstehen keine elektromagnetischen Wellen. Die Stromversorgung der Bahn funktioniert genauso wie überall anderswo bei Straßenbahnen.
Ein anderes Thema sind die optischen Beeinträchtigungen durch die Fahrdrähte im Straßenraum. Städte wie Freiburg, Straßburg oder Bad Wildbad zeigen, dass man diese Drähte behutsam integrieren kann. Außerdem sind wir dafür, auch technische Neuerungen zu erwägen. So könnte man in städtebaulich sensiblen Bereichen prüfen, ob eine Übertragung des Stroms ins Fahrzeug per Induktion möglich ist (aus Leitungen in der Fahrbahn) oder aus Energiespeichern im Fahrzeug.
Was die Erschütterungen angeht, kann man sie erheblich senken: Der heutige Gleisbau verfügt über Elemente, die stark dämpfen und entkoppeln. Diese können an empfindlichen Stellen eingebaut werden. So kann man beispielsweise dafür sorgen, dass sensible Mess-Instrumente an einem Uni-Institut nicht gestört werden.
Im Stadtgebiet Tübingen fallen dann einige Linien weg, welche derzeit die Hauptachse vom Bahnhof auf die Morgenstelle und nach Waldhäuser Ost bedienen. Die äußeren Enden dieser Linien bleiben natürlich weiterhin bestehen und werden dann anders verknüpft, so dass wir auch im Busnetz durchgebundene Linien in das Stadtzentrum und zu den Kliniken behalten.
Weil dort die Schienentrasse vom Tübinger Bahnhof in Richtung Neckarbrücke geführt werden soll. Um von den Regionalstrecken in das Straßennetz zu wechseln, muss das ehemalige Expressgut-Gebäude abgerissen werden, in dem derzeit ein Ein-Euro-Shop untergebracht ist – das Gebäude gilt ja nicht gerade als städtebauliches Highlight. Dann verläuft die Trasse weiter bis zur ehemaligen Hauptpost und schwenkt dort in die Karlstraße in Richtung Neckarbrücke ein.